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Denkmale in Leipzig - Teil 4: Nichts bleibt, wie es ist - Von Aufbruch, Demokratie und einer Karl-Marx-"Altlast"
Die Nikolaisäule auf dem Nikolaikirchhof
Im Herbst des Jahres 1989 versammelten sich Tausende Leipziger Bürger zu machtvollen Protestdemonstrationen. Die Proteste nahmen ihren Anfang in der Nikolaikirche, die aber bald die vielen Menschen nicht mehr fassen konnte. Die Proteste eroberten den öffentlichen Raum und führten letztendlich bekannterweise zum Zusammenbruch eines ganzen Staates. Die Säule auf dem Platz vor der Nikolaikirche verdeutlicht symbolisch diesen Gedanken des Aufbruchs, des Herausgehens aus dem engen Innenraum in die Welt... Die Säule auf dem Platz ist den Säulen des Kirchenschiffes nachempfunden. Ihr Abschluss mit offenen Palmwedeln verweist zugleich auf den friedlichen Charakter der Umwälzung.
Die Säule wurde von Markus Gläser (Entwurf: Andreas Stötzer) geschaffen und am 9. Oktober 1999, zehn Jahre nach den Demonstrationen, eingeweiht.
Das "Demokratie-Ei" (eigentlich: Die Demokratie-Glocke)
Auf dem Augustusplatz, Paulinum
Von der Nikolaikirche sind es nur wenige Schritte zum Augustusplatz, der 1989 noch Karl-Marx-Platz hieß. Von hier aus gingen die Demonstrationen dann weiter entlang des Leipziger Ringes um die Altstadt herum und an der "runden Ecke" vorbei. Nach dem Aufstellen der Säule neben der Nikolaikirche sollte auch hier auf dem Augustusplatz an die Macht des Volkes erinnert werden. Aber wie? Ein Wettbewerb wurde ausgelobt, denn es sollte eine Glocke entstehen, die mit ihren Schlägen an die Umbruchszeiten und an das hohe Gut der (nicht selbstverständlichen) Demokratie erinnert.
Die Demokratie-Glocke wurde von Via Lewandowsky entworfen und in Lauchhammer gegossen. Sie steht vor dem Zugang zur Grimmaischen Straße, ist ca. 1,50 Meter groß, hat eiförmige Gestalt und besteht aus Messing. Dadurch glänzt sie golden in der Sonne... Weshalb sie von den Leipzigern Goldenes Ei genannt wird. (Nicht-Leipziger wissen ohnehin nicht, was es mit dem Ei auf sich hat.)
Die Glocke wurde am 9. Oktober 2009 aufgestellt; sie ist ganz leicht schräg aufgehängt und soll Montags um 18:35 und tagsüber zufällig schlagen. Auf dem Granitring am Boden stehen die Worte: "Demokratie ist - in unendlicher Nähe - längst sichtbar als Kunst" (Durs Grünbein). Damit die Demokratie nicht erkaltet, hatte die "Bunte Strick Guerilla" (BSG) schon mal vorsorglich einen überdimensionalen Eierwärmer gestrickt...
Auch um den richtigen Umgang mit dem am Augustusplatz einst befindlichen künstlerischen Erbe wurde hart gerungen. Am Relief "Karl Marx - das revolutionäre und weltverändernde Wesen seiner Lehre (Aufbruch)" erhitzten sich nach der Wende die Gemüter:
Das Karl-Marx-Relief
Marx-Relief (Detail vom Relief)
Karl Marx, Detail vom Relief
Der Augustusplatz ist geschichtsträchtig. 1945 wurde er in Karl-Marx-Platz umbenannt und ab Ende der 1960er Jahre entstanden hier (für die damalige Karl-Marx-Universität) schrittweise ein neues Universitätsgelände mit dem 142 Meter hohen Sektionshochhaus (im Volksmund "Weisheitszahn" genannt), sowie dem Rektoratsgebäude, der Mensa, mit Seminargebäuden u. a. m. In einem Wettbewerb zur künstlerischen Ausstattung war für den Eingang zum Rektoratsgebäude ein den Marxismus thematisierendes Bronzerelief vorgesehen. 1974 wurde das von dem Künstlerkollektiv Schwabe, Ruddigkeit und Kuhrt entworfene Relief übergeben und montiert. Dieses monumentale Bildwerk wirkte weit in den Platz hinein, doch für davor Stehende aufgrund seiner Dimensionen durchaus auch bedrückend.
Nach der politischen Wende kam es zu heftigen Diskussionen über das Werk, die Meinungen gingen weit auseinander - von Zersägen und Einschmelzen bis hin zu Belassen oder woanders Aufstellen war die Rede. Schließlich wurde das Bronzerelief 2006 abmontiert, das Rektoratsgebäude abgerissen und der Unicampus (mit Aula und Paulinum) neu gestaltet. Das Relief wurde mit "erklärenden" Texttafeln im Jahr 2008 auf dem (räumlich weit vom Augustusplatz entfernten) Unigelände Jahnallee bodennah aufgestellt. Glücklicherweise steht es jetzt unter Denkmalsschutz.
Auf den Tafeln vor dem Relief kann man folgendes lesen:
Aus dem Jahr 1999 stammt ein Text, der im Rahmen des Projekts "Leipziger Kunstorte" u. a. die Entstehungsgeschichte des Reliefs und die Biographien der daran beteiligten Künstler beleuchtet. (Matthias Huth/Sandra Naumann: Das „Karl-Marx-Relief“ auf dem Leipziger Augustusplatz, Projekt Kunstorte Leipzig, Uni Leipzig und HGB Leipzig, Leipzig 1999.)
Diesem Text ist die nachfolgende Bildbeschreibung auszugsweise entnommen (kursiv):Der Kopf
Der Marx-Kopf ist das auffälligste Merkmal des gesamten Reliefs, er nimmt etwa zwei Drittel der Gesamthöhe ein. Sein Blick ist starr*) nach links gewandt. Er verbildlicht die Ideologie des Marxismus-Leninismus, die in der DDR als Leitgedanke getragen wurde.
Die zentrale Gruppe*) starr? - doch wohl eher ernsthaft/kritisch... - hb
In der Mitte nach links und rechts in den Bildhintergrund gerückt, befindet sich eine Gruppe von acht Personen, die durch ihre Tiefenstaffelung an einen Demonstrationszug erinnert. An ihrer Spitze steht eine weibliche Figur, die als Symbol für den Kampfgeist der in der DDR lebenden Frauen interpretiert werden kann. Diese Figur ist Träger der Intention des Gesamtensembles, eines aufstrebenden, sich immer vorwärts bewegenden Volkes.
Die DiskussionsrundeDie Gruppe der Diskutierenden nimmt den rechten Bildteil ein. Es handelt sich um sechs Personen, die sich angeregt unterhalten. Den äussersten Abschluss bildet am rechten oberen Reliefrand eine Figur, die sich dem Platzgeschehen zuzuwenden scheint. In diese Gruppe haben die Künstler einen weiteren Schwerpunkt der Gesamtbildaussage impliziert. Hier diskutieren nicht nur junge Leute, vielmehr ist wichtig, dass es sich um Menschen unterschiedlicher Nationalitäten handelt, die um Verständigung und Zusammenarbeit bemüht sind.
Der Mann mit der Jacke
Als Bindeglied und gleichsam als Mittler zwischen der rechten Gruppe der Diskutierenden und dem Demonstrationszug in der Reliefmitte steht eine männliche Figur, die im Begriff ist, ihre Jacke überzustreifen. Sich scheinbar gerade von der Gruppe der Diskutierenden losgelöst, schliesst sie sich jetzt dem Demonstrationszug an.
Der Rufer
Ein Mann mit erhobenen Armen, dessen Hände als Schalltrichter fungieren, schliesst als Rufender die linke Gruppe am oberen Bildrand nach aussen ab. Auch hier sollen, wie auf der rechten äusseren Bildseite, die Reliefbegrenzung scheinbar aufgelöst und ein unmittelbarer Bezug zum Betrachter hergestellt werden.
Den gesamten Text können Sie hier lesen: https://www.hgb-leipzig.de/kunstorte/ap_marx_einfuehrung.html
zu Bronzeplastiken in der Stadt