Figuren, Reliefs und Denkmale am Wege, in kleinen und größeren Orten:

Im Dessau-Wörlitzer Gartenreich - Skulpturen im Wörlitzer Park: Teil 1

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"Die Anlagen von Wörlitz sind der Höhepunkt des großen Landesverschönerungswerkes, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den gesamten Kleinstaat Anhalt-Dessau umfasste. (...) Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) und sein Freund, der vor allem als Architekt und Kunstpädagoge tätige Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (138-1800), dürfen als die wesentlichsten Initiatoren eines gesellschaftlichen Umgestaltungsversuches angesehen werden."
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"Unter dem Begriff des Dessau-Wörlitzer (Gartenreiches) werden die (...) beeindruckenden Leistungen auf kulturellem Gebiet zusammengefasst und zu den bedeutendsten Ergebnissen der Aufklärung in Deutschland gezählt. (...) Von Beginn an waren die Wörlitzer Anlagen der Öffentlichkeit zugänglich." (Uwe Quilitzsch, Dessau)

Das Schöne mit dem Nützlichen verbinden


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"Bildung und Erziehung des Volkes, nicht zuletzt auch durch Kunst, sollten die Grundlagen für Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums, ein menschenwürdiges Dasein und ein geordnetes Staatswesen schaffen. Im Wörlitzer Garten fanden diese von humanistisch-sozialen Utopien der Spätaufklärung getragenen Ideen ihre, allen erlebbare, Vergegenwärtigung." (R. Alex) Das Volk sollte teilhaben an den Kunstwerken und den großartigen Bauten, die damals nur die wenigsten im Original oder vor Ort sehen konnten. Und so finden sich in den "Erlebnisräumen" des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches nicht nur unendlich schöne Landschaftsbilder sondern auch Kopien berühmter antiker Kunstwerke und nachempfundene Bauwerke.

Apoll im Wörlitzer Schloss

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Schloss Wörlitz
Das Wörlitzer Schloss gilt als "Gründungsbau" des deutschen Klassizismus. Betritt man es über die  Freitreppe durch den Haupteingang, dann wird man im runden Vorsaal vom Apoll von Belvedere (als Abguss) empfangen. Apoll - der Gott des Lichtes - steht für ein Haus der Begegnung mit Kunst und Wissenschaft. Seit Winckelmann galt die antike Figur als ideale Darstellung des menschlichen Körpers (auch des göttlichen ;-)) . Fürst Franz und Erdmannsdorff hatten Winckelmann, den Begründer der klassischen Archäologie und neueren Kunstwissenschaft, auf ihren Italienreisen kennengelernt. Es empfiehlt sich unbedingt eine Führung durch das Schloss zu buchen!

Skulpturen im Park

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Goldene Urne
Der Wörlitzer Park besteht aus mehreren verschieden gestalteten Partien mit malerischen Sichtachsen, die man auf sanft geschwungenen Wegen oder per Gondel erkunden kann. Immer wieder wird man dabei von den sich öffnenden Ausblicken, von Monumenten, Skulpturen oder Gebäuden überrascht. Schauen wir uns einige der Skulpturen näher an!

Die Kniende (oder hockende) Venus - auch als kauernde Aphrodite bekannt

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Nicht stören! Die Göttin badet!
Venus war gerade in Hockstellung gegangen. Ihre Dienerin nahte, um den Wasserschwall über sie zu gießen, als jemand das Bad betrat. Erschrocken drehte die Göttin den Kopf in Richtung des störenden Geräuschs. Mit schnell angewinkelten Armen versuchte sie sich vor den aufdringlichen Blicken zu schützen, doch ohne Erfolg. Denn sie kannte den Eindringling...
  
Das Motiv der im Bad überraschten Göttin war bereits in der Antike sehr beliebt.

  Plinius d.Ä. berichtete, dass
einst König Nikomedes von
Bythnien versucht haben soll,
die berühmte von Praxiteles
geschaffene Aphroditestatue
zu kaufen. Vergeblich. Der
König beauftragte deshalb
den Bildhauer Doidalsas, etwas
ähnliches zu schaffen.
Diodalsas hatte aber eine
andere Idee und schuf seine
hockende oder kauernde
Aphrodite. Von ihr existieren
mehrere in den Museen
(Paris, London, Rom, Neapel, ...)
zu besichtigende Kopien bzw.
veränderte Varianten. Keine ist
vollständig, doch kann man
durch die verschiedenen
sich ergänzenden Werke
eine gute Vorstellung vom
Original bekommen. (1)
Für die Darstellung wird das Javascript "Slideshow" von Andreas Berger verwendet.
(1) Norbert Schnabel: http://syndrome-de-stendhal.blogspot.com/2015/02/eine-gottin-badet-die-kauernde.html

Das Original von Diodalsas aus Bethynien wird auf etwa 250 v.u.Z. datiert, es ist heute verloren. Die vorhandenen bzw. aufgefundenen (antiken) Kopien waren Inspirationsquelle für Künstler der Renaissance bis zur  Neuzeit. Die Wörlitzer Skulptur schuf der Dresdner Bildhauer Pfeifer 1782 nach einer in der Villa Medici vorhandenen antiken Kopie.

Kniende/Kauernde Schönheiten
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V.l.n.r.: Odalisque, Musée des Beaux-Arts, Lyon; Kauernde Venus, Wörl. Park; Aphrodite accroupie, Louvre, Paris

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1841 ließ sich der Bildhauer James Pradier (1790-1852) von der antiken kauernden Venus zu seiner phantastischen Skulptur "Odaliske" (Musée des Beaux-Arts, Lyon) inspirieren. Welche der drei Varianten (Lyon, Wörlitz oder Paris) ist denn Ihr Favorit?

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Die Muschelsucherin oder die Venus mit der Muschel, auch: Die Knöchelspielerin

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Nymphe coquille, Louvre, Paris
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Dies ist eine weitere Variante des in der Antike so beliebten Skulpturen-Sujets einer auf dem Boden sitzenden oder kauernden jungen Frau. Sechs (durchaus unterschiedliche) römische Kopien von der Venus mit der Muschel oder der sogenannten Knöchelspielerin sind überliefert (heute in den Museen von Paris, London, Berlin, Dresden u.a.). Die junge Frau sitzt mit angewinkelten Beinen auf dem Boden und stützt sich mit der linken Hand ab. Und was macht die rechte Hand? In der wohl bekanntesten Variante hat das Mädchen gerade Knöchelchen (sogenannte Astragale - antike Würfel) geworfen. Bei der im Pariser Louvre zu besichtigenden Skulptur aber hält sie eine Muschel in der Hand, die hat ihr wohl der neuzeitliche Restaurator mitgegeben, als die Figur auf Veranlassung Napoleons von der Villa Borghese nach Paris kam.

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Auch der Preußenkönig Friedrich II. erwarb eine antike Kopie (für Sansscouci), diese befindet sich jetzt in der Berliner Antikensammlung (Pergamonmuseum). Bei letzterer fällt vor allem das Mädchenhafte und die "Melonenfrisur" auf, diese Frisur war damals der neueste Modeschrei. Sie müssen aber nicht extra nach Paris, London oder Berlin fahren - hier im Gartenreich Wörlitzer Park sitzt das junge Mädchen mit verträumt-melancholischem Blick am Ufer des Sees. Woran mag sie wohl denken?


Venus/Aphrodite im Rundtempel

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In den Kapitolinischen
Museen, Rom
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Venustempel in Wörlitz
Natürlich darf im Wörlitzer Park eine Variante der berühmtesten aller Venus- bzw. Aphrodite-Statuen nicht fehlen. Es ist der Bildhauer Praxiteles, der in Knidos um 350/340 v.u.Z. mit seiner Skulptur der zum Bade schreitenden Aphrodite eine immer wieder kopierte Vorlage geschaffen hat. Die antiken Bildhauer waren kreativ und wandelten die Figur ab, Aphrodite bzw. Venus versucht sich bei einigen antiken Kopien schamhaft mit den Händen zu bedecken. Von diesen Figuren vom Typ "Venus pudica" (schamhafte Venus) existieren etliche Exemplare, z. B. in den Uffizien, Florenz, oder in den Kapitolinischen Museen in Rom.

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Im Schloss Wörlitz
Im Wörlitzer Park hat die idealschöne junge Göttin sogar einen eigenen Rundtempel bekommen. Der außergewöhnlich harmonisch in die Landschaft integrierte Tempel (ein sogenannter dorischer Monopteros) wurde 1794-1797 auf einem künstlichen Felsen errichtet. Wer es nicht bis hierher schafft, der kann der Göttin der Liebe und Schönheit zusätzlich im runden Vorsaal des Wörlitzer Schlosses seine Reverenz erweisen.

Die Skulpturen im Rundtempel bzw. im Vorsaal des Wörlitzer Schlosses sind Kopien der sogenannten "Venus Medici" (das Original steht in Florenz) aus dem 1. Jh. v.u.Z.


Die Grotte der Egeria

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Wer ist Egeria? Immerhin, Goethe hat sie besucht - auf seiner Italienischen Reise... Zitat: "Heut' hab' ich die Nymphe Egeria besucht, dann die Rennbahn des Caracalla, die zerstörten Grabstätten längs der Via Appia und das Grab der Metella, das einem erst einen Begriff von solidem Mauerwerk gibt. Diese Menschen arbeiteten für die Ewigkeit, es war auf alles kalkuliert, nur auf den Unsinn der Verwüster nicht, dem alles weichen mußte." (Goethe: Italienische Reise, 11. November 1786, gefunden auf dem Goethezeitportal: www.goethezeitportal.de/index.php?id=rom_egeria)

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Egeria war also eine antike Quellnymphe. Sie soll die Gabe der Weissagung bessen haben, soll die Geliebte und Beraterin des sagenhaften zweiten Königs von Rom (mit Namen Numa Pompilius, der erste war bekanntlich Romulus) gewesen sein, und aus ihrem Quell sollen die Vestalinnen ihr Wasser geschöpft haben. Nachbildungen der südlich von Rom gelegenen "Grotte der Egeria" waren in den Gärten in der Zeit der Empfindsamkeit beliebt: Auch in dem Gesamtkunstwerk Wörlitzer Park wurde 1795 ganz am südöstlichen Ende eine Grotte mit ihr erbaut. Neben dem malerischen Akzent soll diese vor allem den Wanderer zum Nachdenken anregen. Die liegende Sandsteinfigur wurde vom schon erwähnten Dresdner Bildhauer Pfeiffer gefertigt, ihre weiße Fassung kontrastiert zum dunklen Sandstein und Porphyr der Grottenwände und Gewölbe und verstärkt so wirkungsvoll den ruinenhaften Eindruck.

Leda mit dem Schwan

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Leda mit dem Schwan
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Leda in den Kapitolini-
schen Museen Rom
Neben geheimnisvollen Grotten, versteckten oder weithin sichtbaren Tempeln, gibt es im Wörlitzer Gartenreich auch dunkle Gänge an deren Ende plötzlich eine Überraschung steht. Der Sage nach wurde auch Leda, die Königin von Sparta, überrascht, als plötzlich der Schwan aktiv wurde, vor den sie sich gerade schützend gestellt hatte. Leda mit dem Schwan war ein sehr beliebtes Motiv für die Künstler aller Zeiten. Im 4. Jh. v.u.Z. schuf der griechische Bildhauer Timotheus eine Skulptur dieses amourösen Vorganges, die als Vorlage für spätere römische Kopien diente. Eine dieser berühmten römischen Marmorkopien kann man in den Kapitolinischen Museen in Rom bewundern. Aber wie gesagt: Man kann auch in Wörlitz bleiben - überraschend trifft man eine Kopie der Kopie hier am Ende eines dunklen Ganges...

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Skulpturen im Wörlitzer Park: Teil 2